Im kommenden Mai werden sich die afrikanischen Staatsoberhäupter in Addis Abeba zu einer neuen Konferenz treffen. Es ist sicher, daß sich die Häupter der schwarzafrikanischen Staaten in der Hauptstadt Äthiopiens versammeln werden; ob auch nordafrikanische Staaten dort vertreten sein werden, steht noch offen.
Immerhin werden die Anhänger der Charta von Monrovia, die eine Zusammenarbeit in der allgemeinen Politik anstreben, wohl vollzählig versammelt sein. Gelingt es ihnen, einen Kompromiß mit der Casablanca-Gruppe zu finden und sich über den Weg zu den "Vereinigten Staaten von Afrika", die in Zukunft irgendwann einmal entstehen sollen, zu finden, dann wird aus dem Treffen von Addis Abeba ein politischer Block erwachsen, der in der Weltpolitik eine bedeutende Rolle spielen könnte, trotz aller Unterschiede zwischen den einzelnen Nationen.
Tastende Versuche zur Bestimmung des Weges, den der Kontinent gehen soll, hat es in jüngster Zeit viele gegeben; einige Zeichen sollten nicht zu gering eingeschätzt werden. In mehreren Ländern bestehen Bestrebungen, die Beziehungen zu den "weißen" Nationen und Organisationen völlig zu verändern. So haben sich die Gewerkschaften Nigerias vom IBFG distanziert, und auch in Uganda und andernorts gewinnen ähnliche Bestrebungen neuerdings an Boden. Man will sich von einer Organisation absetzen, die man als "verlängerten Arm des amerikanischen Imperialismus" zu erkennen glaubt, und strebt zur pan-afrikanischen Gewerkschaftsbewegung hin, deren Flirt mit dem Prager Weltgewerkschaftsbund bekannt ist. Wahrscheinlich hoffen die Akteure dieser Bewegung, der afrikanischen Arbeiterschaft ein eigenes Organ zu schaffen, und es ist anzunehmen, daß ihnen der panafrikanische Nationalismus wichtiger ist als Bindungen an eine fremde Organisation, die auch wieder gelöst werden können.
Einen weiteren Akzent hat in Kenia Tom Mboya gesetzt. Er hat erklärt, sein Land werde alle Beziehungen zum Commonwealth abbrechen, wenn 8üdrhodesien als Staat mit einer weißen Minderheitsregierung im Rahmen des Commonwealth selbständig werden sollte.
Diese Strömungen finden natürlich ein großes Echo. Sie werden auch in der kommenden Konferenz in Äthiopien eine Rolle spielen. Der Westen tut gut daran, sie aufmerksam zu beobachten.
Die Verbindung zur Kolonialmacht Angola und zu den Apartheid-Staaten im Süden des Erdteils ist dabei eine schwere Belastung für die Demokratien der westlichen Welt. Unter Ausschluß der Öffentlichkeit unterdrückt und terrorisiert Salazars Portugal die nach Unabhängigkeit strebenden Angolesen. Die südafrikanische Regierung erhöht drastisch den Militäretat und trifft energische Maßnahmen zum Ausbau der Polizeistreitkräfte, deren Aufgabe (nach den Ereignissen von 1960) nicht zweifelhaft sein kann. Offenbar g1auben die Europäer in diesen Staaten und in Südrhodesien, das zur Union mit Kapstadt hinstrebt, man könne die Unabhängigkeitsbewegungen einer zehnfachen Übermacht durch Gewalt niederhalten.
Dabei verstärken die Bestrebungen, zu einer einheitlichen schwarzafrikanischen Politik zu kommen, auch die revo1utionären Bewegungen des Südens. Die "Poqo"-Organisation der Südafrikanischen Union, die nach dem Verbot der Kongreßbewegung 1960 illegal entstanden ist, kündigt für dieses Jahr eine bewaffnete Erhebung an. Nachdem bereits vor drei Jahren die weiße Rassendiktatur ins Wanken geraten war, wird es am Kap der Guten Hoffnung 1963 wieder Sturm geben.
Die Regierung Verwoerd hingegen glaubt, mit allen Mitteln der Repression Widerstand leisten zu müssen. Im vergangenen Jahr hat sie den Militärhaushalt um 67 Prozent erhöht und jetzt nochmals um 31 Prozent. Damit ist aber nur eines gewährleistet: Das Gemetzel wird noch scheußlicher werden als vor drei Jahren.
Verwoerd hat einmal behauptet, Südafrika sei noch immer der zivilisierteste Staat in Afrika. Sein Wirtschaftsminister Diederichs wollte dagegen die Wirtschaft des Landes opfern, wenn das "Schicksal der Nation" auf dem Spiele stehe. Wenn die kommenden Bewegungen am Kap tatsächlich die Buren und ihre Verbündeten zur Politik der verbrannten Erde im "eigenen" Land verleiten sollten, tut der gesamte Westen gut daran, sich noch energischer von diesen Apartheids-Fanatikern zu distanzieren, als das in der Vergangenheit geschehen ist.
Andernfalls werden alle Versuche, dem entstehenden Schwarzafrika ehrliche Hilfe zu leisten, vergebens sein. Denn die Afrikaner wissen zwischen glaubwürdiger und unglaubwürdiger Politik zu unterscheiden.