Afghanistan: Der Tod kommt nach Kabul

Frankfurter Rundschau, 26. September 1996
Die afghanischen "Koranschüler", die Taliban, kämpfen in den Vororten der Hauptstadt Kabul. Ob die dort Regierenden die Macht verlieren, ist dabei wenig interessant. Wichtig ist, daß die Stadtbewohner jetzt Geiseln der Taliban sind. Die Verkehrswege, über die rund eine Million Menschen - mehr als die Hälfte Flüchtlinge aus den älteren Kampfgebieten - versorgt werden konnte, sind abgeschnitten seit dem Fall von Jallalabad. Das gerade wiederhergestellte Wasserkraftwerk nahe Sarobi ist unter Kontrolle der Taliban, damit die Stromversorgung von Kabul. Der Flughafen Bagram, das letzte Tor nach draußen, ist nicht mehr zugänglich.

Kabul zu beherrschen kann nicht Ziel der Taliban sein. Mit der Sorge für die Bewohner wären sie überfordert. Der Verwaltung einer nachagrarischen, modern geprägten Stadt sind sie nicht gewachsen - es sei denn um den Preis, den Pol Pot und seine Garden vor zwanzig Jahren dem kambodschanischen Volk abgefordert haben. Der beginnende Winter wird eine grausame, tödliche Jahreszeit werden.

Ursache der Misere ist jedoch nicht nur der militärische Sieg der Taliban, sondern eher das, was ihm unmittelbar vorausging: die Machtkämpfe und Intrigen der sogenannten Befreier, der Rabbani, Hekmatjar, Dostum, Schah Masud; die Stellvertreterkriege, die sie für auswärtige Geheimdienste und Drogenbosse geführt haben; die Verachtung der warlords für das eigene Volk. Die Taliban, Rebellen gegen die Rebellen von einst, haben das alles geerbt, einschließlich einer verbohrten, religiös genannten Ideologie. An ihnen stirbt das Volk, wie an ihren Vorgängern.