Schwager Daud hat König Zahirs Kur gründlich verdorben

Auf Ischia erfuhr Afghanistans Monarch vom Staatsstreich / Krisengebiet in Zentralasien

Frankfurter Rundschau, 18. Juli 1973
Seine Schlammbäder nahm König Mohammed Zahir Schah auch am Dienstag noch. Aber der da in Ischia kurt - seit dem 13. Juli -, ist gar kein König mehr. Vetter Daud, mit vollem Titel und Namen Sardar Daud Khan, hat zugeschlagen. Am Dienstag ließ er über den Sender Kabul verkünden, Afghanistan sei keine Monarchie mehr, sondern habe ab sofort ein republikanisches Regime erhalten, das mit dem Geist des Islam übereinstimme. Von Zahir sagte der Putsch-Anführer kein Wort.

Der hochaufgeschossene König mit dem eindrucksvollen Schnauzbart und dem kaum mehr behaarten Schädel hat die Nachricht aus der Heimat in Zentralasien offenbar gefaßt aufgenommen, melden die Agenturen. Er sei am Morgen in der Hotelhalle erschienen, um sich den ärztlich verordneten Mineral- und Schlammbädern zu widmen, und habe einen ganz ruhigen Eindruck gemacht. Die Herren aus seinem Gefolge indessen hätten intensive Bemühungen veranstaltet, um mit der afghanischen Botschaft in Rom Kontakt zu bekommen. Doch vorn dort ist nichts zu erfahren. Nur ein Besetztzeichen klingt aus dem Telefonhörer.

Wenig Reformeifer

Unterdessen rührte Schwager Daud daheim im politischen Urschlamm. Seine Rundfunkansprache, die in Indien abgehört wurde, enthielt massive Anklagen. Afghanistan sei bisher als Pseudodemokratie geführt worden und habe sich "in jeder Hinsicht auf dem Wege zum Bankrott befunden". Das sagt ein Mann, der es wissen muß. Sardar Daud Khan, mit dem 59 Jahre alten König nicht nur verschwägert (er hat die Schwester des damals Mächtigen geheiratet), sondern auch entfernt verwandt, hat von 1953 bis 1963 das Land selbst regiert, um dann blitzartig von der politischen Szene zu verschwinden, die er nun im Alter von 64 Jahren wieder betreten will. Das Programm, das er damals durchzusetzen versuchte, hatte sich keineswegs durch übertriebenen Reformeifer ausgezeichnet; zudem stammen die nun wirklich reformträchtigen Pläne für eine Landreform und für eine demokratische Verfassung aus der Zeit nach seinem Sturz.

König Zahir, der seit 1933 auf dem Thron von Kabul saß, hatte seinen diversen Regierungschefs, zuletzt Mussa Schafie, im Jahre nach Dauds Sturz ganze Pakete von Verbesserungsvorschlägen hingelegt. Doch am Ende blieben die Papiere in seinem Schreibtisch, von Palastwachen und Sicherheitsschlössern davor bewahrt, jemals politische Wirklichkeit zu werden.

Eine Bedrohung Afghanistans ist gar erst zu Dauds Zeiten akut geworden: der Konflikt mit Pakistan. Auf beiden Seiten der Grenze, zu der der berühmte Khyberpaß führt, leben Pathanen (oder Paschtunen geheißen, nach der Sprache, die sie gemeinsam haben, dem Paschtu). Daud hatte zu den entschiedenen Anhängern einer Politik gehört, die den zum Teil nomadisierenden, zum Teil schmuggelnden, immer aber kampfbewährten und noch immer in die Disziplin feudaler Gesellschaftsordnungen eingefügten Stämmen der Pathanen einen gemeinsamen Staat schaffen wollte, Paschtunistan.

In Dauds Regierungsjahrzehnt sahen Gäste aus dem Westen in Dienstzimmern offiziöse Karten hängen, auf denen Gebiete von der Größe Frankreichs als eigentlich afghanisch-paschtunisch bezeichnet wären. Das Wunsch-Land reichte von Belutschistan - der unruhigen Provinz im pakistanischen Westen - bis an die Gegend, in der Indien und Pakistan in den südlichen Gefilden Kaschmirs zusammenstoßen. Daß die Beziehungen zwischen Kabul und Karatschi damals alles andere als herzlich waren, ist verständlich.

Freilich gehört zu diesem außenpolitischen Hintergrund ein anderer, der weltpolitisch ist. Afghanistans geographische Lage hat das Land seit hundert Jahren zum Objekt internationaler Ambitionen gemacht. Das 650000 Quadratkilometer große Land mit ungewisser Einwohnerzahl - die Schätzungen schwanken zwischen neun und 18 Millionen - grenzt an die zentralasiatischen Sowjetrepubliken, an Iran, an Pakistan, an den indisch besetzten Teil Kaschmirs und im Pamir-Hochland auf 50 Kilometer Länge auch an China. Diese Lage zwischen den drei volkreichsten Staaten der Erde - China, Indien, UdSSR - hat im vergangenen Jahrhundert und auch noch in diesem die ambitionierten imperialistischen Mächte nicht ruhen lassen.

So kam es, daß Zahirs Monarchie, eins der 25 ärmsten Länder der Erde, sich Anfang der fünfziger Jahre. an die USA mit der Bitte um Entwicklungshilfe wandte. Außenminister John Foster Dulles war gar nicht abgeneigt; aber er wollte einen politischen Preis. Gegen die weltkommunistische Bedrohung, wie er sie sah, wollte er Afghanistan in einen Militärblock einbeziehen, den Block, aus dem dann der Bagdad-Pakt und später das CENTO-Bündnis entstand. Angesichts seiner geschichtlichen Erfahrungen mit den Großen dieser Welt aber hat Afghanistan die Neutralität vorgezogen.

Die Erfahrungen konnte das Land, das um 1770 noch bis in den persischen Osten reichte und dessen Grenze der Ganges war, nach 1839 sammeln. Die damals vier Jahre alte Barakzai-Dynastie (sie fiel mit dem Sturz des Reform-Königs Aman Ullah, der - wie nun Zahir - in die Wüste geschickt wurde, als er gerade Europa besuchte) hatte sich gegen eine britische Expedition zu wehren, die angeblich nur die Afghanen vor den Persern retten wollte. Die Perser wiederum hatten Afghanistan um ihrer eigenen Interessen willen vor dem verderblichen Einfluß der Britisch-Ostindischen Kompanie "bewahren" wollen. Die Briten siegten, holten 1839 den Gebirgsstaat in ihre Obhut und erreichten so etwas ·wie eine Kolonialherrschaft. Ein Volksaufstand machte ihr ein blutiges Ende. 3000 Kolonialsoldaten, meist übrigens Inder, wie im Empire üblich, überlebten den Entscheidungskampf am Khyberpaß nicht.

Daß Afghanistan danach als Staat überlebte, verdankt es der Tatsache, daß Russen und Briten einander den strategisch so wichtigen Posten auf dem Dach der Welt nicht gönnten.

Von der ,britischen Wirtschaft blieb Afghanistan abhängig; für seine soziale Entwicklung und seinen Wirtschaftsaufbau geschah nichts. Erst Aman Ullah, der bei einer Europareise in den späten zwanziger Jahren in den Bann des Westens gezogen wurde, versuchte ein beschleunigtes Reformprogramm.

Seither dringt der Fortschritt nur mühsam nach Afghanistan vor. Sowjetische Wirtschaftshilfe fließt wohl seit Chruschtschows und Bulganins Besuch (1955) ins Land; doch sie hat von jeher im Ruf gestanden, politisch und strategisch motiviert zu sein. Der Klüngel um Sardar Mohammed Daud Khan und seine fürstlichen Gefolgsmänner hat auch verhindert, daß mehr oder weniger erfolgversprechende Projekte aus westlichen Ländern (voran die Bundesrepublik) die Massen erreichten.

Da stehen moderne Staudämme, deren Generatoren freilich der Geographie des Landes schlecht angepaßt und entsprechend reparaturanfällig sind; da hat andererseits eine Hungersnot nach dreijähriger Dürre in den abgeschiedenen Bergprovinzen letztes Jahr 80000 Menschenleben gekostet. Und obwohl einige afghanische Wissenschaftler - von denen es wenige gibt - Weltruf haben, sind noch 90 Prozent der Bevölkerung des Lesens und Schreibens unkundig. Die Frauen sind sogar noch zu fast 100 Prozent Analphabeten Erst vor 14 Jahren wurde ihnen gestattet, den Gesichtsschleier (Tschaudri) abzulegen. Aman Ullah hatte das vor 45 Jahren schon dekretiert - das war den Mullahs, den islamischen Geistlichen zu arg.

Die falschen Kirchen

Auch den Christen, einer kleinen Minderheit, sagten sie den Kampf an. Mitte Juni dieses Jahres ließen sie die protestantische Kirche der Europäer abreißen, weil angeblich der Spitzgiebel nicht ins Stadtbild Kabuls passe. Und einer Missions-Augenklinik die vor allem Afghanen offensteht (Trachom und andere Augenkrankheiten sind Volksseuchen, wie TBC und Wurmkrankheiten, Bilharziose und Syphilis), drohten sie mit Lizenzentzug. Blindenlehrer und Kaufleute wurden aus Land komplimentiert, weil sie in der falschen Kirche gebetet hatten.

Ob Dauds Rückkehr zur Macht den reaktionären Trend nun bremsen oder verstärken wird, ist nicht abzusehen Aber in Pakistan hat der Machtwechsel in Afghanistan einen Schock ausgelöst. Die nächste Paschtunen-Krise, so fürchtet man, kommt bestimmt. Großmachtambition eines Landes mit einem Volks einkommen von 167 Mark im Jahr; mit 527 Ärzten und 2217 Hospitalbetten unterprivilegierten Minderheiten (Tadschiken, Usbeken, Turkmenen Bergvölkern und gar noch Nachkommen der Mongolen Dschingis-Khans) - aber auch einigen vorzüglichen Jagdbomber Geschwadern mit MIG-21- und MIG 23-Maschinen und in der UdSSR ausgebildeten Piloten. Ein Krisenherd dessen innere Probleme vor allem von Studenten und Schülern ausgesprochen werden, dessen alte Führung zu langsam zur Reform und dessen neue zu ihr gar nicht entschlossen ist, das sollte der ganzen Welt Schrecken einjagen.