Der "konsequenteste Marxist"

Der albanische Parteichef Enver Hoxha, der im Alter von 76 Jahren gestorben ist, wird von den albanischen Massenmedien als der letzte konsequente Marxist gefeiert.

Frankfurter Rundschau, 12. April 1984
Keiner habe wie er die Lehren von Marx, Engels, Lenin und Stalin verteidigt, erklärten die Staats- und Parteiorgane in einem Nachruf, den der Staatsrundfunk am Donnerstagnachmittag in 21 Sprachen in alle Welt verbreitete. Er habe die Einheit der Nation geschaffen, und die tiefgreifenden sozialen und kulturellen Wandlungen nach 1945 hätten Albanien unter seiner Führung zu einem "fortgeschrittenen sozialistischen Land" gemacht, in dem Wohlstand, Demokratie, Bildung und Kultur für die Massen verwirklicht seien.

Hoxha ist am 16. Oktober 1908 als Sohn eines wohlhabenden Moslems in Gjirokaster geboren; seine Biographen sind sich nicht einig, ob sein Vater Apotheker oder Tuchhändler war. Enver Hoxha studierte nach 1930 in Montpellier und Paris und arbeitete seit damals mit französischen Kornmunisten zusammen, was ihn später eine Anstellung als Konsulatssekretär in Brüssel kostete. Als Französischlehrer nahm er 1941 am Gründungskongreß der Nationalen Befreiungsfront teil. Seitdem war er Berufsrevolutionär, seit 1943 auch Vorsitzender der Kommunistischen Partei.

Die Unabhängigkeit rief eine von Hoxha geführte Regierung am 10. November 1944 aus, doch geht diese Unabhängigkeit auch auf das Zusammenwirken mit den Partisanen aus Jugoslawien unter Josef Broz Tito zurück. Nach dem Bruch zwischen Tito und der UdSSR (1948) schloß sich Hoxha eng an Moskau an und ließ die vOn Koci Xoxe geführte "nationalkommunistische" Parteiopposition liquidieren.

Der Entstalinisierung (1956) entzog sich Hoxha. Die Aussöhnung zwischen Moskau und Belgrad (1955) isolierte Albanien zunächst, doch entwickelte sich nach 1960 eine enge Zusammenarbeit mit China. Hoxhas Parteiführung (von 1954 an führte er den Titel "Erster Sekretär") verfolgte ein radikales Agrarreformprogramm und forcierte schwerindustrielle Projekte in dem nur 2,8 Millionen Einwohner zählenden Land.

Die islamischen Traditionen der albanischen bäuerlichen Stämme ließ Hoxha radikal ausrotten; 1967 wurde das Land zum "ersten atheistischen Staat der Welt" erklärt. Ein Jahr später trat es als bisher einziger Staat formell aus dem "Warschauer Pakt" aus, dem östlichen Militärbündnis, dem es seit seiner Gründung (1955) angehört hatte.

Die Veränderungen der chinesischen Politik, nach dem Tod des ultralinken Parteiführers Lin Biao (1971) veranlaßten Hoxha zum Bruch mit China, der nach Mao Tsetungs Tod (1976) auch offiziell vollzogen wurde. Im Zusammenhang damit veranstaltete Hoxha eine weitere Parteisäuberung, der (1974) Verteidigungsminister Beqir Balluku zum Opfer fiel.

Die albanischen Massenmedien feiern Hoxha auch als bedeutenden marxistischen Theoretiker, doch enthalten seine umfangreichen Schriften kaum Spuren eigener schöpferischer Tätigkeit, dafür viel Anklagen gegen Marxisten in allen anderen Ländern und anekdotenhafte Beobachtungen vor allem über die chinesischen, sowjetischen und jugoslawischen Führer. Der kaum übersehbare Einfluß Hoxhas auf die Entwicklung Albaniens beruht weniger auf seinem theoretischen Format als auf der Allgegenwart der von ihm 1943 gegründeten Partei und der ihr nachgeordneten Organisationen von der Armee bis zum Kinderverband.