Leitfossil des asiatischen Nationalismus

Indonesiens ehemaliger Prädsident Sukarno war zuletzt nur noch sein eigenes Denkmal

Frankfurter Rundschau, 22. Juni 1970
Zuletzt war er nur noch sein eigenes Denkmal: Als Indonesiens einstiger Präsident Sukarno im Alter von 69 Jahren starb, lag sein politischer Tod schon einige Jahre zurück. Putsch und Gegenputsch vom Oktober 1965, Aufstieg der Militärs zur Macht und westliche Bindung Indonesiens hat der schwerkranke Mann nicht mehr überstanden. Doch sein historisches Verdienst haben die neuen Machthaber in Djakarta ihm nicht nehmen können und wohl auch nicht wollen: Daß er aus der einstigen niederländischen Kolonie den Staat Indonesien machte, ist eine nicht umkehrbare Leistung. Sie ist das Werk eines charismatischen Führers, der mehr war als nur das Sinnbild für eine nationalistiche Bewegung: Sukarno war auch ihr Erzeuger.

Leitfossil des asiatischen Nationalismus - auch das war Sukarno. Die anderen Führer des asiatischen Zeitalters sind von ihm abgetreten: etwa Gandhi und Nehru Ho und All Jinnah, die ein Zeitalter Asiens prägten. Aus der Garde der Befreiungs-Heroen der ersten Nachkriegsjahre ist noch Mao Tse-tung übriggeblieben - der letzte.

Sukarno war nicht Maos Weg gegangen. Auch den Nehrus schlug er nur annahernd ein. Er blieb vor allem Nationalist war weniger ein Sozialreformer, kaum Schöpfer einer neuen Gesellschaftsordnung, nicht uberzeugend geprägt von einer konkreten Utopie der Vision einer auch gesellschaftlich veranderten Welt. Doch als Meisterschmied einer Nation, die vordem keine gewesen war, gewann er seine eigene Qualität.

Meisterschaft im Umgang mit den Massen, vor allem rhetorische Meisterschaft, war sein politisches Instrument. Politische Schlagworte zu erfinden, sie wie große Verheißungen zu präsentieren, sie aber auch unscharf zu lassen wie Leerformeln, denen man Inhalt erst noch geben muß - das war seine Stärke. Auf Sukarno geht der Begriff Nasakom zurück, Vermählung von Nationalismus, mohammedanischer Religion und Kommunismus; eine mystische Einheit, ein Begriff, der Gefühle der Massen mobilisieren konnte, der sich genauer Definition, quantitativer Bestimmung indes entzog.

Mit dem Nationalismus war Sukarno, der Ingenieur aus Surabaja, groß geworden. An diesen Begriff hatte er sein politisches Leben geknüpft. Als er 1927, gerade 26 Jahre alt, die Partai Nasional Indonesia als die linksgerichtete Kraft in der indonesischen Befreiungsbewegung gründete, füllte er nicht nur eine leere Stelle im Namensregister der Parteien aus: Er setzte den Namen als Programm ein. Indonesien war nur durch eins verbunden und geeint: die niederländische Herrschaft.

Diese schwankte zwischen dem Regiment der harten Hand und dem Versuch zum Kompromiß zwischen Haager Macht und einheimischer Integration. Doch sie wollte bestehenbleiben, dies vor allem, und einte so ihre Feinde. Angebote auf Mitwirkung an der regionalen Verwaltung kamen zu spät, wenn sie in der ersten Dekade nach dem Ersten Weltkrieg überhaupt einen Sinn hatten, wenn sie nicht nur den Tatbestand der kolonialen Herrschaft verschleiern, allenfalls mildern sollten. Die zahllosen Einheiten, aus denen Indonesien bestand, waren nicht mehr integrationsfähig mit Amsterdam und Den Haag. Sie mußten für sich überwinden, was sie trennte: Religion, Sprache, Tradition, Wirtschaftsverfassung, Gesellschaftsformation. Das Land der tausend Inseln und zehntausend Minderheiten mußte zur politischen Einheit werden.

Sukarno hatte dies verstanden. Seine eigenen Gaben machten ihn zum Führer dieses Nationalismus. Sie ließen ihn indes auch die Beschränkupg einer nur antithetischen, also negativen Strömung überwinden: Aus Europa hatte er Liberalismus, Sozialismus, Organisationslehre übernomrnen. Vor allem die Notwendigkeit der Einheit machte er frühzeitig klar: Zuerst hatte die Nation zu sein, dann erst durfte man über den Inhalt dieser politischen Form streiten.

Inhalte waren dennoch da. Der Islam als eine auch politisch wirkende Kraft, getragen von Grundbesitz und entstehendem Bürgertum, mußte herübergewonnen werden. Die elenden Lebensbedingungen der Plantagenarbeiter und der arbeitsiosen Stadtproletarier schufen zugleich die revolutionäre sozialistische Organisation - neben dem Nationalisten Sukarno stand der Repräsentant dieser Bewegung, Tan Malakka, als ein überragender Führer auf. Sein Nachfolger im Amt des KPChefs, Aldit, hat seine Wirkung nie erreichen können.

Sukarnos politische Rolle hing indessen nicht nur von ihm selbst ab. Entscheidend wurde auch der Zweite Weltkrieg. Als Asiens imperialistische Vormacht Japan vor nun 30 Jahren die Kolonlaireiche Südostasiens zerbrechen ließ, zerstörte sie auch den Mythos von der Überlegenheit des weißen Kapitalismus, an den wohl die Weißen in Asien allein geglaubt hatten, der aber doch erst überwunden werden mußte. Für Sukarno wie für Tan Malakka war nach 1941 selbstverständlich, daß man eine Teilstrecke auf dem Weg zur Unabhängigkeit mit Japan gemeinsam zurücklegen konnte. Sie gingen den Bund ein; und als Japan am 15. August 1945 kapitulierte, konnten - Sukarnos Selbstverständnis zufolge - nur die indonesischen Nationalisten die Konkursmasse des Tokioter Imperiums übernehmen.

Die Niederlande gingen scheinbar darauf ein. Zwar nahmen sie die von Sukarno seit dem 17. August 1945 geführte "Republik Indonesien" in das Niederländische Reich als Partner auf, als sie sie nicht mehr niederzwingen konnten; doch hingen sie weiter ihren Interessen nach. Die "Polizeiaktion" vom Dezember 1948 gegen Sukarnos Präsidentschaft erzeugte einen Bürgerkrieg, aus dem erst die Nation Indonesien wirklich wuchs.

Die tatsächliche Unabhängigkeit aber enthüllte, daß Gegensätze weiter bestanden. Sukarno konnte mit dem Gewicht seiner Persönlichkeit noch bis 1965 die drei ungefähr gleich starken Gruppen und Bewegungen ausbalancieren: Kommunisten meist nationaler Prägung, Moslemorganisationen mit sozialer Basis unter den Besitzenden, Armee mit wachsendem Elitebewußtsein. Jede dieser drei Kräfte meldete ihre Ansprüche an. Sukarno stellte seine Wechsel auf die Zukunft aus, einigte die Gegenkräfte im Kampf gegen stets neue äußere Feinde.

Widersprüche blieben, wuchsen gar. Der Nationalismus Sukarnos brauchte Symbole, die teuer wurden. Dem Pathos der Größe entsprachen weder wirtschaftliche noch gesellschaftliche Voraussetzungen. Und als erste Zweifel an seiner Fähigkeit des Herrschens aufkommen konnten, brachen sie hervor. Sukarno sei schwer erkrankt, hieß es im Sommer 1965. Die Nachfolger rissen sich ums Erbe. Dem Putsch und Gegenputsch vom Oktober 1965, wohnte älles inne: Klassenkampf von oben, revolutionärer Aufstand (wie dilettantisch auch immer geplant), Staatsstreich des Militärs, Machtkampf der (islamischen) Reaktion gegen Liberale, Sozialisten und Kommunisten.

Im Kommunisten-Massaker der Jahre 1965 und 1966 entlud sich dies zuerst. Die Nation Indonesien enthüllte sich als Wunschtraum: Die Wirklichkeit war anders geworden, der Inhalt hatte die Form gesprengt. Seither lief Sukarnos Biographie neben der Geschichte seines Landes her. Die Identität von Führer und Geführten war aufgehoben, die Widersprüche der Gesellschaft bestimmten das Bild.

Sukarno verlor seine Rolle, doch sein Denkmal blieb: Monument der nationalistischen Kampfzeit, die von der Geschichte überholt worden ist.

Jetzt starb auch das Denkmal. Was es hinterließ, Indonesien, muß sich noch definieren als Staat mit einem konkreten gesellschaftlichen Inhalt. Kapitalistisches Indonesien, sozialistisches Indonesien? Das bestimmende Adjektiv muß erst erkämpft werden. Sukarno hatte keinen Vornamen - auch das ist symbolträchtig.