Leitartikel: Das Feuer ist aus

Frankfurter Rundschau, 7. November 1991
Das Feuer ist aus in Kuwait. Die Ölquellen brennen nicht mehr. Das Ereignis war der Sabah-Familie, der das Emirat gehört, ein Freudenfeuer wert; eine Ölquelle wurde eigens noch einmal angezündet, um den Tag mit einem nun nur noch symbolischen Lösch-Akt zu feiern. Die zehn Prozent der Welt-Erdölvorräte, die unter den makabren Fackeln des ökologischen Krieges unangetastet liegengeblieben sind, können nun wieder ausgebeutet werden. Das Nachdenken über Energie-Einsparungen und über die weltweiten Folgen der nun wieder meist zivilen Verbrennung fossiler Energierohstoffe darf an Intensität verlieren, wenn es denn jemals intensiv versucht worden ist.

Für die Welt-Firma Kuwait, die ohnehin mehr Gewinn aus ihren internationalen Investitionen zieht als aus dem Verkauf ihres Bodenschatzes, verstand es sich von selbst, dass eine vorläufige Kostenbilanz aufgestellt wurde. Das Emirat hat 6,85 Milliarden Einnahmeausfall für das Kriegsjahr 1990 errechnet. Um die alte Foerdermenge wieder zu erreichen, werden wohl noch einmal zehn Milliarden Dollar ausgegeben werden müssen. Was es kostet, die nicht in den Firmenbilanzen auftauchenden Schäden zu beseitigen, sofern das möglich ist, ist diesen Schätzungen nicht zu entnehmen.

Es ist wohl wahr, dass die ersten apokalyptischen Berichte über die Folgen der Brände in 737 Ölförderstellen falsch waren. Gleichwohl sind Hunderte Kilometer Küste verseucht, das Flachmeer Persisch- Arabischer Golf ist auf weite Strecken vergiftet. Die Meeresströmungen sorgen dafür, dass Gifte aller Art in diesem Randmeer bleiben, langsam durchmischt und verteilt werden von dem Wasser, das durch die Strasse von Hormuz aus dem Indischen Ozean zufließt; im Golf verdunstet ja mehr Wasser, als Euphrat, Tigris und einige wenige andere Flüsse ihm zuführen. Der Lebenszusammenhang des Golfs bleibt auf lange Jahre und Jahrzehnte belastet, stellenweise bis über die Grenze der Lebensfeindlichkeit hinaus.

Was die Verbrennungsprodukte - beileibe nicht nur Russ und Asche - der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen angetan haben, ist nicht zuverlässig ausgerechnet worden. Volksgesundheitsdaten werden es in den kommenden Jahrzehnten erkennen lassen, in indirekter Weise. Wer will denn den direkten Bezug zwischen Krebshäufigkeit und den das Gas-Luft-Gemisch durchseuchenden Kohlenwasserstoffen nachweisen? Wer rechnet die Belastung von Wasser, Boden und Nahrung denn so exakt aus, dass stringente Nachweise im Einzelfall zu führen wären?

Die Statistik schweigt über Flora und Fauna. Allenfalls das Aussterben einiger Arten wird der Fachwissenschaft auffallen. Der Öko-Krieg wurde am Nordwestende des Golfs aber gegen die Natur geführt. Sie ist kein Rechtssubjekt, sie ist willenlos, beansprucht keine Reparationen, keine Tribunale. Sie geht nur klaglos ein. Es bedarf keiner in polemischer Absicht in Filmberichte hineingefälschter Bilder verölt sterbender Kormorane, um das zu wissen.

Den ökologischen Krieg hat Iraks Diktator Saddam Hussein gewollt und angesagt. Die Ableitung von Ölquellen ins Meer, die Brandstiftung in Ölfeldern sind von ihm befohlen worden. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass ein größerer Teil der Förderstätten durch Kriegshandlungen in Brand gesteckt worden ist, durch die Waffen der Alliierten. Das heißt: Wird der moderne Krieg in einem Industriegebiet ausgetragen, so ist er unweigerlich auch ökologischer Krieg.

Das Feuer ist nun aus in Kuwait. Die Folgen bleiben, nicht nur die ökologischen dort. Von den Zerstörungen ist zu reden, die die Infrastruktur des jungen Industriestaates Irak erlitten hat. Das irakische Volk zahlt, nach den entsetzlichen Menschenverlusten wegen der von seinem Diktator angezettelten Kriege, noch einmal mit seiner Gesundheit. Es lebt in der Angst vor der Wiederholung.

Die Siegesmeldungen über die Zerstörung des Angriffspotentials haben sich längst als propagandistische Übertreibungen herausgestellt; so smart, so intelligent sind weder die modernen Waffen noch ihre Anwender noch die Aufklärer, dass sie alles im Visier gehabt und alles zerschmettert hätten, was zur Kriegsführung taugt. Die Ursachen des Krieges haben sie gar nicht erfasst, geschweige denn beseitigt. Es geht hier nicht um die Person des Diktators. Es geht um eine Weltordnung, die auf der Gewalt der Waffen, der ökonomischen Erpressung und der ökologischen Rücksichtslosigkeit aufgebaut ist. Nichts ist neu daran, nicht einmal der nun zäh anlaufende Friedensprozess: der hätte längst beginnen müssen, vor Jahrzehnten schon, und niemanden ausschließen dürfen.

Das Feuer also ist aus in Kuwait. Es kann jederzeit wieder brennen, an jedem anderen Ort, sobald sich Menschen mit Verfügungsgewalt über vermeintlich entscheidende Waffen zur Brandstiftung entschließen. Solange nicht eine Weltordnung entsteht, die auf dem allseitigen Willen zum Frieden, zur Toleranz und zur Gerechtigkeit beruht, solange schwelt die Gefahr weiter für die Menschen und ihre Um-Welt.